Die grosse Liebe / True Love

Heute vor 80 Jahren feierten Virginia Mae Banning und John Philip Bloomfield — meine Eltern — Hochzeit in der katholischen Kirche St. Luke in St. Paul, Minnesota. Ihre Beziehung war etwas Besonderes!

Eighty years ago today Virginia Mae Banning and John Philip Bloomfield — my parents — were married in St. Luke’s Catholic Church in St. Paul, Minnesota. Their relationship was very special!

Als Mother am 27. November 1995 kurz nach dem 50. Hochzeitsjubiläum unerwartet starb, begann für Dad auch der Sterbeprozess. Die Nachbarn berichteten, Dad sei nach Mothers Tod stundenlang in der Stube gestanden und habe ins Leere geschaut. Ohne seine Virg hatte das Leben den grossen Sinn verloren.

Beim Fest zum 50. Hochzeitstag / At the 50th anniversary party
Nach dem Fest zum 50. Hochzeitstag 1995 / After party to celebrate their 50th anniversary 1995

Mehr als 50 Jahre lang waren Virg-n-John ineinander verliebt. Er trug sie auf Händen. Sie hatte grenzenloses Vertrauen zu ihm.

Mother freute sich über die sportlichen Tätigkeiten von Dad beim Baseball, Softball, Football und Basketball. Beide waren in eigenen Bowlingclubs tätig. Dad, der sonst recht ehrgeizig war, fühlte sich keineswegs in den Schatten gestellt, dass Mother immer die besseren Bowlingresultate erreichte. Gemeinsam betrieben sie in späteren Jahren auch Golf. Das je eigene Engagement in Sportskreisen verursachte nie jemals den Hauch von Eifersucht oder Misstrauen.

Eine Zeit lang bekam Mother von einer Frau anonyme Anrufe während Dad an Sportanlässen war. Die Unbekannte behauptete, Dad habe eine Freundin und fragte: Wissen Sie wo er wirklich ist und was er macht? Mother wusste! Sie erzählte Dad sofort von diesen Anrufen. Trotz ihrem Vertrauen zu Dad litt Mother unsäglich unter diesen Anrufen. Dad stellte bei der Arbeit Nachforschungen über andere an und machte die Täterin ausfindig. Der Chef drohte mit sofortiger Entlassung, wenn sie nicht aufhöre. Die Anrufe hörten auf und die Beziehung zwischen Mother und Dad wurde dadurch bestätigt und gestärkt.

Dad hatte konservative Vorstellung von seiner Rolle als Ehemann. Er war der Ernährer, Mother musste nicht auswärts arbeiten. Oder heisst das: durfte nicht. Ich glaube, Dad hätte es als Zeichen einer Schwäche seinerseits angesehen, hätte Mother einen Job gehabt. Wie ein Ritter im Mittelalter übte Dad die Rolle des Beschützers aus.

Ein paar Mal war sein Schutz ein bisschen zu viel des Guten. Als Mother einmal bei uns in St.Gallen am Abend krank wurde, holte ich bei der Oberschwester im Pflegeheim, wo ich tätig war, Rat und Medikamente. Dad war misstrauisch, hatte Angst um seine Virg. Ich konnte Dad überzeugen, Mother das eine Medikament zu geben. Das andere, ein Schmerzmittel, lehnte er ab: Ich will nicht, dass sie zu viele Medikamente nimmt! Also hatte Mother die ganze Nacht vermeidbare Schmerzen. Aber sie hielt es aus, weil ihr Beschützer es für recht befunden hatte, so vorzugehen.

Einmal wäre Mother an Dads Beschützerverhalten fast gestorben. Nach einem längeren Abend im Restaurant stolperte Mother über den Tritt ins Esszimmer und stürzte. Sie wollte sich an einer Stuhllehne auffangen, fiel aber so unglücklich mit dem Arm drüber, dass sie den Oberarm verletzte. Er tat höllisch weh! Dad meinte aber, es würde sicher bald abklingen, man könnte am nächsten Morgen immer noch zum Arzt. Nun vermute ich, dass Mother im Ausgang ein bisschen zu tief ins Glas geschaut hat, und Dad wollte sie nicht in diesem Zustand ins Spital bringen. Beide hätten sich schämen müssen.

Irgendwie brachte Dad sie ins Schlafzimmer und ins Bett. Nichts mit bald abklingen. Am nächsten Morgen wachte Mother mit unsäglichen Schmerzen auf, konnte sich ohne aufzuschreien nicht bewegen. Sie versuchte Dad im anderen Zimmer zu wecken, aber er schlief tief und fest. Endlich erschien er unter der Tür. Mother musste aufs WC und Dad manövrierte sie dort hinein. Dabei musste sie laut schreien. Mother machte die WC-Tür zu und fiel dann hinter der Tür in Ohnmacht. Dad hörte das Rumpeln und versuchte die Tür aufzumachen. Er rief ihren Namen. Endlich kam Mother wieder zu Bewusstsein. Nun gab es kein Hinausschieben mehr. Im Spital stellte der Notarzt fest, dass Mother den Knochen im Oberarm zerschmettert hatte. Nach einer Operation war der Arm ein paar Zentimeter kürzer.

Später erzählte mir Mother, dass sie an diesem Morgen hinter der WC-Tür ein Nahtoderlebnis gehabt hatte. Sie hätte Dad vor der Tür von oben gesehen, beobachtet, wie er an der Tür rüttelte und hörte sein Rufen. „Ich glaube“, meinte sie, „ich bin dort fast gestorben.“ Ich sollte Dad aber davon nichts erzählen.

Vor mir stritten sich Mother und Dad nie. Doch es war klar, dass Mother manchmal unter Dads Dominanz litt. Immer wieder zwischendurch stand sie aber doch auf die Hinterbeine und wehrte sich. Einmal packte sie Dad sogar an den Schultern und schüttelte ihn. Sonst hielten sie sich an das nie ausgesprochene Abkommen, über Probleme so wenig wie möglich zu reden. Die Liebe, die sie verband, war weit stärker als alle Differenzen und Schwierigkeiten, auch wenn beide hin und wieder „schlucken“ mussten.

Dieses Foto hatte Dad in seinem Portemonnaie immer bei sich. / Dad carried this picture of Mother in his wallet.

Dad drückte seine Liebe zu Mother manchmal auf rührende, fast ritterliche Weise aus. Zusammen im Stammrestaurant unterhielt sich Dad mit der Serviertochter, die immer dafür sorgte, dass sie uns bedienen konnte. Witze, Sprüche, mal Privates, mal Geschäftliches. Kurz: eine freundschaftliche Beziehung. Als Dad einmal allein ins Restaurant ging, blieb er gegenüber der Serviertochter eher einsilbig. Sie wurde stutzig aber getraute sich erst nach einer Weile zu fragen, ob ihm etwas fehle. Er sei heute Abend so still. Nein, es gehe ihm gut, meinte er lächelnd. Aber seine Frau sei jetzt nicht bei ihm. Niemand sollte meinen, er würde hinter dem Rücken seiner Frau mit der Serviertochter flirten.

When Mother died unexpectedly on November 27, 1995, shortly after their 50th wedding anniversary, Dad also began to die. Neighbors reported that after Mother’s death, Dad stood in the living room for hours, staring into space. Without his Virg, life had lost its meaning.

Virg-n-John had been in love for more than 50 years. He adored her. She trusted him completely.

Mother enjoyed Dad’s sporting activities, including baseball, softball, football, and basketball. Both were active in their own bowling clubs. Dad, who was otherwise quite ambitious, did not feel overshadowed by Mother’s consistently better bowling scores. In later years, they also played golf together. Their individual involvement in sports never caused the slightest hint of jealousy or mistrust.

For a while, Mother received anonymous phone calls from a woman while Dad was away at sporting events. The unknown woman claimed that Dad had a girlfriend and asked, “Do you know where he really is and what he’s doing?” Mother knew! She told Dad about the calls immediately. Despite her trust in Dad, Mother suffered unspeakably from these calls. Dad suspected someone at the post office where he worked and tracked down the perpetrator. The boss threatened immediate dismissal if she didn’t stop. The calls stopped, and the relationship between Mother and Dad was confirmed and strengthened as a result.

Dad had conservative ideas about his role as a husband. He was the breadwinner; Mother didn’t have to work outside the home. Or rather, she wasn’t allowed to. I think Dad would have seen it as a sign of weakness on his part if Mother had had a job. Like a midieval knight, Dad played the role of protector.

A few times, his protection was a little too much of a good thing. Once, when Mother fell ill in the evening while staying with us in St. Gallen, I went to the head nurse at the nursing home where I was pastor to ask for advice and medication. Dad was suspicious, afraid for his Virg. I was able to convince Dad to give Mother one of the medications. He refused to give her the other one, a painkiller: “I don’t want her taking too much medication!” So Mother was in unnecessary pain all night. But she endured it because her protector had decided that was the right thing to do.

Once, Mother almost died because of Dad’s protective behavior. After a long evening at a restaurant, Mother stumbled over the threshold into the dining room and fell. She tried to catch herself on the back of a chair, but fell so badly that she injured her upper arm. It hurt like hell! But Dad said it would surely subside soon and that they could still go to the doctor the next morning. Now I suspect that Mother had had a little too much to drink before they went out, and Dad didn’t want to take her to the hospital in that condition. They should have been ashamed of themselves.

Somehow Dad got her into the bedroom and into bed. There was no sign of the pain subsiding. The next morning, Mother woke up in unspeakable pain and couldn’t move without screaming. She tried to wake Dad in the other room, but he was fast asleep. Finally, he appeared at the door. Mother had to go to the toilet, and Dad maneuvered her in there. She had to scream loudly. Mother closed the toilet door and then fainted behind it. Dad heard the rumbling and tried to open the door. He called her name. Finally, Mother regained consciousness. Now there was no more putting it off. At the hospital, the doctor in the emergency room determined that Mother had shattered the bone in her upper arm. After an operation, her arm was a few centimeters shorter.

Later, Mother told me that she had had a near-death experience behind the toilet door that morning. She had seen Dad outside the door from above, watching him shake the door and hearing him call out. “I think,” she said, “I almost died there.” But I wasn’t to tell Dad about it.

Mother and Dad never argued in front of me. But it was clear that Mother sometimes suffered from Dad’s dominance. Every now and then, however, she would stand up on her hind legs and fight back. Once she even grabbed Dad by the shoulders and shook him. Otherwise, they stuck to their unspoken agreement to talk as little as possible about problems. The love that bound them was far stronger than any differences or difficulties, even if both of them had to “swallow hard” every now and then.

Dad sometimes expressed his love for Mother in a touching, almost chivalrous way. When we were at our favorite restaurant, Dad would chat with the waitress who always made sure we were well looked after. Jokes, wisecracks, sometimes personal, sometimes business. In short, they had a friendly relationship. When Dad went to the restaurant alone one day, he was rather taciturn toward the waitress. She was taken aback but didn’t dare ask him if something was wrong until after a while. He was so quiet that evening. No, he was fine, he said with a smile. But his wife wasn’t with him. He didn’t want anyone to think he was flirting with the waitress behind his wife’s back.